“Juhu, ich habe Liebeskummer!”, das hat der 61jährige Luigi gestern am Ende unseres gestrigen Therapiegesprächs gerufen. Und es genau so gemeint! Luigi ist unglücklich in eine über 20 Jahre jüngere Frau verliebt. Und obwohl sie ihn deutlich zurückweist, ist Luigi total im Glück. Er hatte nämlich eine wirklich bescheidene Kindheit, in der es für alles Schläge gab: für Wut, für Enttäuschung, für weinen, ja selbst für lachen. Also verschanzte Luigi all seine Gefühle hinter einen dicken, undurchdringlichen Mauer. Er heiratete, gründete eine Familie und führte ein scheinbar erfülltes Leben. Bis er auf Sarah traf, die – ohne es zu wollen – seine Mauer niederriss. Plötzlich waren sie da, all die Gefühle, die er jahrzehntelang unterdrückt hatte. Aber statt zu leiden, war Luigi einfach nur verwirrt. Er kannte ja keine Schmetterlinge im Bauch. Freude, Wut, Trauerwaren ihm bis dato völlig fremd und brechen sich nun Bahn in seinem Leben. Also kam er zu mir in Therapie und fand heraus, was da eigentlich gerade mit ihm passiert. Beziehungsweise, was über so lange Zeit eben nicht mit ihm passiert ist. Und siehe da: er blüht auf! Ja, man kann sagen, er kann gar nicht genug von seinen Gefühlen bekommen. Seine erste Reaktion auf die Erkenntnis, dass das Gefühle sind, war: “Bin ich nicht etwas zu alt für so einen Quatsch? Ich gehe in ein paar Jahren in Rente.” Und heute ist er glücklich über jeden Schmetterling, jede Träne, jedes herzhafte Lachen und jeden stechenden Herzschmerz. Auch das kann Therapie sein.
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